Quelle: ARD – w wie wissen
Ein Text, der Leben rettet
»Das Schlimmste ist vorbei. Wir bringen Sie jetzt ins Krankenhaus, wo schon alles vorbereitet wird. Ihr Körper kann sich jetzt ganz auf seine Selbstheilungskräfte konzentrieren, während Sie sich jetzt ganz geborgen fühlen können. Lassen Sie alle Organe, Ihr Herz, Ihre Blutgefäße, sich selbst in einen Zustand versetzen, der Ihr Überleben und eine rasche Heilung sicherstellt. Bluten Sie gerade so viel, wie nötig ist, um Ihre Wunden zu reinigen, und lassen Sie dann Ihre Gefäße sich von selbst soweit schließen, dass Ihr Leben gesichert ist. Ihre Körperfunktionen, Ihre Körpertemperatur, alles wird optimal aufrechterhalten, während im Krankenhaus schon alles für Ihre optimale Versorgung hergerichtet wird. Wir bringen Sie so schnell und sicher wie nur möglich dorthin. Sie sind jetzt in Sicherheit. Das Schlimmste ist vorüber.«
Dieser einfache Text wurde bei einem Experiment in den 70er-Jahren von dem amerikanischen Psychiater Erik Wright Notfallpatienten auf dem Weg ins Krankenhaus wiederholt von Rettungssanitätern vorgelesen. Im Vergleich zu der Kontrollgruppe, die keine spezifische Anweisung bekam, wie sie mit den Patienten kommunizieren soll, verlief hier die Genesung schneller, die Patienten konnten die Klinik früher verlassen – und signifikant mehr Unfallopfer kamen lebend im Krankenhaus an.
Es ist einer von vielen Versuchen, die Möglichkeiten der vielleicht ältesten und wohl auch der faszinierendsten medizinischen Behandlungsmethode zu untersuchen, die derzeit eine Renaissance erlebt: die Hypnose.
Kampf gegen Vorurteile
Lange Zeit waren Begriffe wie Trance und Suggestion hauptsächlich mit zweifelhaften Bühnenvorstellungen verbunden, und viele Mediziner, die Hypnose erfolgreich in ihrer Behandlung einsetzen, müssen bis heute gegen Skepsis und Vorurteile ankämpfen. Doch seit 2006 ist die „Hypnotherapie“, also die Behandlung von Krankheiten durch Hypnose, in Deutschland wissenschaftlich anerkannt. Neben einer nachweislichen Wirkung bei zahlreichen psychischen Erkrankungen, aber auch in den Bereichen wie Warzenbehandlung oder Bluthochdruck, gehört die „hypnotische Analgesie“, die teilweise oder sogar gänzliche Unterdrückung von Schmerzen, wohl zu den beeindruckendsten Anwendungen. Immer mehr Mediziner erkennen den Wert der Hypnose in der Medizin, und dank ihrer Forschung dringt sie immer weiter in die unterschiedlichsten Bereiche vor.
Sichtbare Spuren im Gehirn
Empfindungen wie Schmerz oder Angst sind nicht einfach nur Reize, die immer und bei jedem Menschen auf die gleiche Art und Weise auftreten, sondern das Ergebnis eines Zusammenspiels verschiedener Hirnareale. Das Bewusstsein entscheidet von Fall zu Fall, ob und wie intensiv wir solche Empfindungen wahrnehmen. Dank der modernen Hirnforschung verstehen Wissenschaftler inzwischen sogar teilweise die grundlegenden Mechanismen der Abschaltung von Schmerz, oder auch Angst auf Kommando. Doch was genau passiert dabei in unserem Kopf? An der Uniklinik Freiburg erforschen Wissenschaftler, welche Veränderungen im Gehirn unter Hypnose stattfinden. Die Forschungen zeigen: In der Trance sind die einzelnen Bereiche, die für das Auslösen von Angst zuständig sind, nicht mehr aktiv. Dafür schaltet sich ein Kontrollzentrum ein, das dem Angstbereich signalisiert, nicht aktiv zu sein. Hypnose ist also kein Hokuspokus – sondern erzeugt im Gehirn klar erkennbare und messbare Veränderungen der Aktivität.
Beeindruckende Anwendungen
Genau so wie das Unterdrücken von Angst, funktioniert auch das Ausschalten von Schmerzen durch Hypnose. In der Zahnmedizin ist sie inzwischen schon weit verbreitet. Oft benutzt der Arzt dabei Bilder. Zum Beispiel könnte sich der Patient beim Bohren Renovierungsarbeiten an seinem schönen Haus vorstellen. Das Gehirn nimmt das durch die Suggestionen vermittelte neue, positiv besetzte Bild an, und das Bewusstsein sieht keinen Grund, Schmerzen oder Angst auszulösen. Doch theoretisch kann der Patient jederzeit aus der Trance aussteigen. Viele Ärzte wollen deswegen nicht gänzlich auf Narkosemittel verzichten. Was Hypnose allerdings leisten kann, zeigt sich besonders eindrucksvoll bei Hirnoperationen, die im Uniklinikum Regensburg regelmäßig unter Hypnose durchgeführt werden. Bei einer Tumorentfernung im Gehirn muss ein Patient ansprechbar bleiben, wenn der Eingriff beispielsweise in der Nähe des Sprachzentrums durchgeführt wird, um mögliche Veränderungen seiner Sprachfähigkeit sofort erkennen zu können. Bei dieser mehrstündigen, sehr unangenehmen Prozedur stehen Schmerz- und Betäubungsmittel zwar bereit und können jederzeit verabreicht werden – aber solange der Patient in Trance ist, benötigt er beides nicht, während der Tumor aus seinem Kopf gesaugt wird.
Hypnose für Jedermann?
Im Prinzip kann jeder Mensch in Trance fallen, denn eigentlich ist es nur eine ganz natürliche Körperfunktion. Dabei ist es keinesfalls so, dass der Hypnotisierte die Kontrolle über sein Handeln verliert. Es ist genaugenommen ein Zustand erhöhter Aufmerksamkeit, verbunden mit einem starken Fokus auf innere Bilder und Vorgänge. Viele haben so eine Trance vielleicht schon mal bei einem Unfall erlebt, wenn sich plötzlich die eigene Körperwahrnehmung verändert und man trotz schwerer Verletzungen keine Schmerzen empfindet. Die Suggestibilität, also die Fähigkeit, sich mittels Suggestionen von einem Therapeuten in so einen Zustand versetzen zu lassen, ist allerdings sehr unterschiedlich ausgeprägt. Es spricht nichts dagegen, es selbst einmal auszuprobieren und sich von einem ausgebildeten Arzt oder Psychotherapeuten hypnotisieren zu lassen. Mediziner und Psychologen warnen allerdings vor den möglichen Folgen einer unsachgemäß durchgeführten Laienhypnose, die in bestimmten Fällen bereits vorhandene, aber nicht zum Ausbruch gekommene versteckte psychische Erkrankungen auslösen kann.